Interview mit Stefan Schridde von MURKS? NEIN DANKE! e.V. und BerlinRepair

Hallo Stefan, stell dich gerne einmal vor. Wer bist du und was ist dein Bezug zur Repairkultur? 

Ich bin Stefan Schridde, Leiter der Kampagne, bzw. des Vereins MURKS? NEIN DANKE! Mir liegt daran, dass die Dinge haltbar werden. Ich mache das seit April 2011, weil ich geplante Obsoleszenz als Problem erkannte und mich entschlossen habe, dafür zu sorgen, dass das aufhört. Mit MURKS? NEIN DANKE! ist dann im Februar 2012 als Webseite etwas ins Rollen gekommen, was mich seitdem von dem abhält, was ich eigentlich mache. Eigentlich bin ich nämlich Management-Coach oder Projektmanager. Seitdem kümmere ich mich nur noch um Haltbarkeit und mache das in der ganzen Breite, in öffentlicher Aufmerksamkeit, in allen möglichen Gremien, vom EU- Parlament runter bis auf die Straße. 

Worum genau geht es bei dem Verein MURKS? NEIN DANKE! e.V.? 

Der Verein MURKS? NEIN DANKE! dient als Knotenpunkt unseres Netzwerks, das die gleichnamige Kampagne organisiert. Klassische Vereinsorganisation selbst ist heutzutage nicht mehr so üblich, Bewegung findet eher in Netzwerken statt. Der Vereinsgründung 2013 folgte dann das Sachbuch „MURKS? NEIN DANKE! sowie diverse andere Studien und Veröffentlichungen. Grundlegend geht es darum das Thema geplante Obsoleszenz in der öffentlichen Debatte zu verankern. Das ist ein zentraler Punkt, da das Thema bisher alle zehn Jahre aufkommt, akademisch debattiert wird und anschließend im Sand verläuft. Das gilt es zu verhindern. Meiner Ansicht nach ist Haltbarkeit der stärkste Hebel für nachhaltige Entwicklung und somit für sozialökologische Transformation. Aktuell beschäftigt sich meine Arbeit viel mit dem Thema Reparaturkultur, wobei „Kultur“ ein wichtiger Aspekt dabei ist. Es geht nämlich nicht mehr nur um das Reparieren im klassischen Sinne, sondern um einen gemeinschaftlichen Akt, in dem Menschen erkennen, dass sie gemeinschaftlich Dinge „hegen, pflegen, weitergeben“ können. Der Orientierung im urbanen Raum widmet sich MURKS? NEIN DANKE! heute hauptsächlich. 

Außerdem habt ihr die Initiative BerlinRepair gegründet. Was ist der Hintergrundgedanke davon und was wollt ihr damit bewirken? 

Offene Werkstätten und Reparatur waren schon seit Beginn des Projekts Teil unserer Kampagne. Im April 2012 wurde das erste Repair Café in Deutschland gegründet. Mittlerweile gibt es bundesweit deutlich über tausend Repair Cafés. Daran merkt man, dass da etwas ins Rollen gekommen ist. Damit entstehen neue Themen, es gibt zahlreiche Menschen, die sich engagieren möchten, aber viele wissen nicht genau, wie sie so etwas starten können. Außerdem ist es wichtig, dass Repair Cafés nicht nur in den typischen Vierteln (z.B. in Berlin: Neukölln, Friedrichshain und Kreuzberg) öffnen. Jede Nachbarschaft einer Stadt hat ein Repair Café verdient. Das alles braucht einen organisatorischen Rahmen, um Reparaturkultur im urbanen Raum zu fördern. Dafür ist eine Plattform nötig, die mithilfe von mehreren Akteuren die weitere Entwicklung vorantreibt. Genau das ist BerlinRepair. Mittlerweile streut sich dieses Konzept schon über Berlin hinaus und fasst auch in anderen Städten Fuß. Wir möchten dafür sorgen, dass Menschen wissen, dass es Repair Cafés gibt und wo das nächstgelegene ist. Mit den Reparaturräten kommt jetzt nochmal eine neue Qualität in die Sache.  

Könntest du uns erzählen worum es bei den Reparaturräten geht? 

Urbanität findet da statt, wo Menschen sich ansiedeln, eine Stadt entwickeln und in dieser Stadtgemeinschaft versuchen, die Lebensqualität des Ortes weiterzuentwickeln. Genau dort kann sozial-ökologische Transformation stattfinden. Wenn man jetzt historisch auf Städte blickt, erkennt man, dass der urbane Raum in den vergangenen Jahrhunderten eher dazu diente, ein optimales Umfeld für die Weiterentwicklung monetärer Märkte zu bieten. Dabei brauchen wir heute eine viel stärkere Aktivierung der nicht-monetären Märkte. Also dort, wo Wohlstand stattfindet, indem Wissen und Dinge ausgetauscht werden und ein gutes Leben in Gemeinschaft geführt wird. Wenn man sich überlegt, dass „hegen, pflegen, weitergeben“ eigentlich eine nicht-monetäre Aktivität in urbanem Raum ist, die aber auf eine andere Weise monetäre Unterstützung braucht, dann merkt man, dass sich daraus Fragen dazu ergeben, wie der urbane Raum in seinen Wertigkeiten umgestaltet werden muss. Das bedeutet: wir stärken einerseits die Reparaturkultur in einer Stadt und fördern gleichzeitig die sozial-kulturellen Kompetenzen für den Umbau einer Stadt. Das ist ein sehr interessantes Feld, in dem ganz viel bürgernah besprochen, initiiert und vorangetrieben werden kann. Meine Kollegen aus Oldenburg haben den Reparaturrat Oldenburg als Verein gegründet, der Begriff hat mir sehr gefallen, denn es erinnert an die Bürgerräte. Reparaturräte sollen also eine Art Bürgerräte sein, in denen Menschen einen Zugang zur urbanen Reparaturkultur finden können und über die Rahmenbedingungen der nicht-monetären Märkte sprechen können. Dieser kommunale Dialog mithilfe der Reparaturräte müsste in jeder Stadt stattfinden. Dazu muss man viele Menschen an Bord holen, die Kerngruppe identifizieren und flächendeckend vernetzen. Wir beginnen daher auch die Entstehung und Vernetzung von Reparaturräten in weiteren Städten zu unterstützen. 

Du betonst, dass es einen kulturellen Wandel geben muss, hin zu einer Reparaturkultur. Wie schafft man es, die breite Bevölkerung zu bewegen und den kulturellen Wandel anzustoßen?   

Wandel findet immer statt. Bei dem Thema ist es wichtig zu verstehen, dass man niemanden von etwas überzeugen muss. Das sogenannte kapitalistische System ist durchdrungen von dem Glauben es bräuchte exogene Faktoren, ein Angebot, um eine Nachfrage zu schaffen. Ein ganz zentraler Punkt von nachhaltiger Aktivität ist jedoch intrinsische Motivation. In meinem Buch MURKS? NEIN DANKE! schreibe ich über den Mythos der Konsum- bzw. Wegwerfgesellschaft und zeige dort die Gaußsche Normalverteilung auf von Bürgern nach deren Produktbeziehung. Man sieht, dass es einerseits die gibt, die eine Kurzzeit-Produktbeziehung haben. Auf der anderen Seite sieht man diejenigen, die eine langwierige Produktbeziehung haben. Zu unterschiedlichen Zeiten haben wir unterschiedliche Produktbeziehungen. In Bezug auf Reparaturkultur merkt man, dass den Menschen daran gelegen ist Dinge in Nutzung zu halten, kein Mensch will die Beziehung zu einem Produkt beenden. Heute kommt durch die “Share-Economy” eine weitere Gefahr hinzu, da sie das Produktinteresse nur auf den Zeitraum des Nutzens verkürzt. Da geht der Produktbeziehungsverlust noch mehr einher. Um die Reparaturkultur zu stärken, muss man diese Langzeit-Nutzergruppen, die ungefähr 80% der Nutzergruppen ausmachen, im städtischen Dialog ins Licht der Öffentlichkeit heben und einen längeren Nutzungszeitraum normalisieren. 

Man hört oft die Phrase „Qualität hat ihren Preis“.  Muss man wirklich davon ausgehen, mehr für nachhaltige und haltbare Produkte zu zahlen?  

In den meisten Fällen der Analyse von geplanter Obsoleszenz lässt sich zeigen, dass es immer Materialeinzelkosten sind, die für fehlende Haltbarkeit gesorgt haben. Ich behaupte, dass mindestens 80% der Konsumgüter unter sonst gleichen Kosten mindestens mit der dreifachen Haltbarkeit, Reparierbarkeit, Modularität etc. hergestellt werden können. Eine gesetzliche Mindesthaltbarkeit von 30 Jahren, würde wahrscheinlich kaum eine Preiserhöhung zur Folge haben, freien Wettbewerb vorausgesetzt.  Selbstverständlich kann eine asiatische, günstige Produktion bei Lohnverdopplung im asiatischen Raum zu höherer Haltbarkeit geführt werden, ohne dass wir hier irgendeinen Nachteil hätten. Das ist besonders spannend, denn Haltbarkeit ist auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Verteilungsgerechtigkeit. Deshalb stimme ich der Aussage „Qualität hat ihren Preis“ nicht zu. Geplante Obsoleszenz ist teurer. Es gibt natürlich auch Fälle, in denen Qualität sich teuer produzieren lässt, aber Haltbarkeit scheitert immer an Gier. In den meisten Fällen ist es der Handel, der die Haltbarkeit reduziert, weil er an Schnelldrehern im Sortiment interessiert ist und daran, dass wir mit einem neuen Bedarf wieder in den Handel kommen. Gerade wenn man über Reparaturkultur redet, ist es wichtig, darauf zu achten, dass man in der Rhetorik, die man verwendet nicht die etablierte Sprache einer kommerzialisierten Konsumwirtschaft reproduziert.  

Man sieht heute immer mehr Firmen auf Nachhaltigkeit und Reparierbarkeit umschwingen. Was meinst du sind die Prozesse dahinter? 

Zwei Prozesse finden in der Wirtschaft statt, je mehr wir über Kreislaufgesellschaft und Haltbarkeit reden und das Thema an die Öffentlichkeit bringen. Einerseits bringt eine nachwachsende Generation von Managern neue Diskurse in den betrieblichen Dialog. Diejenigen, die damals Cost-Reduction-Programs als Hauptstrategie ins Feld führten, mussten mit einem unglaublichen Preiskampf aus Asien leben. Die neue Generation stellt jetzt Fragen von Ethik und Nachhaltigkeit. Die Unterstützung der breiten Öffentlichkeit ist essenziell, um ihnen öffentlichen Rückhalt für den innerbetrieblichen Diskurs zu geben. Außerdem betreiben die globale Wirtschaft einen ruinösen Wettbewerb, der eine abstruse Art von Vielfalt erzeugt, die nicht durch die Nachfrageseite erklärt werden könnte. Wir haben weltweit eine zunehmende absolute Ressourcenknappheit, liberalisierte Märkte liefern aber nicht aus sich heraus die Lösung dieses Problems. Überleben werden nur diejenigen in diesem Wettbewerb, die authentisch, glaubwürdig und tatkräftig der Gesellschaft zeigen, dass sie das Problem verstanden haben und zugunsten der Gesellschaft partizipativ lösen wollen. Auch hier ist die Reaktion im urbanen Raum und die breite öffentliche Debatte notwendig, um den Fokus neu zu setzen.  

Deine Arbeit und Projekte stoßen sicherlich auf verschiedenste Reaktionen. Wie lassen sich verschiedene Standpunkte vereinen und wie gehst du mit Hindernissen um? 

Ich erkenne in Hindernissen Energiequellen und verborgene Wege zu deren Lösung. Ich sehe Widerstand als eine interessante Schubkraft und frage mich, woher er kommt und wie ich damit umgehen kann. Die verschiedenen Akteure im Netzwerk BerlinRepair vereine ich über den Reparaturrat Berlin e.V., ein Netzwerk in Berlin, um urbane Reparaturkultur zu organisieren. Dem Kuratorium dieses Vereins können Firmenmitglieder als Finanz- und Ideengeber beitreten, mit denen regelmäßig über Erfolge, Entwicklungen und weitere Schritte diskutiert wird. In den Beirat des Reparaturrates werden die Kompetenzakteure geholt, wie Experten aus der Maker-Szene, die eine beratende Funktion einnehmen. Auf diese Weise wird mit einem solchen Reparaturrat kreativ und konstruktiv mit Widerständen und verschiedenen Motiven umgegangen. Es gilt eben diese Sichtweise aufzugeben, es wären Widerstände. Es geht darum, alle an Bord zu holen. Man muss den Menschen mit Geduld und Respekt begegnen, dann gelingt jeder notwendige Dialog. Bei industrienahen Projekten kann ich so auch eine klare Kante zeigen, denn das Gegenüber merkt, dass mir etwas an der Sache liegt. Unvoreingenommen den Menschen begegnen ist eine wesentliche Grundhaltung, die man sich aneignen sollte.  

Du engagierst dich auch stark politisch. Was sind die größten Meilensteile für dich, in der Vergangenheit oder auch in Zukunft? 

In der Vergangenheit und auch aktuell gab es einige Meilensteine. Zu den zwei größten Meilensteinen gehört definitiv die Studie zur geplanten Obsoleszenz mit den Grünen, die wir im März 2013 veröffentlicht haben. Diese war in vielen Bereichen stark wirksam und hat starke Reaktionen der Öffentlichkeit hervorgerufen. Der zweite große Meilenstein ist für mich, dass Ursula von der Leyen als EU-Kommissarin der CDU und CSU das Thema geplante Obsoleszenz in dem Green New Deal als Handlungsauftrag gegeben hat. Die beiden Parteien hatten sich in der Vergangenheit diesem Thema nicht zugewendet. Deshalb hat es mich besonders gefreut, dass sie diesen Handlungsauftrag formuliert haben. Auch auf der Normungsebene ist sehr viel ins Rollen gekommen mit Standards zur Haltbarkeit und Reparierbarkeit. Frankreich, als zentralistischer Staat, ist uns in dem Bereich oft ein wenig voraus. Das Land hat ein Gesetz gegen geplante Obsoleszenz verabschiedet, einen Reparaturindex angestoßen und treibt auch auf EU-Ebene die Debatte voran. Dem muss sich Deutschland anschließen. An all diesen Meilensteinen merkt man, dass heute kaum noch jemand das Thema Nachhaltigkeit und geplante Obsoleszenz für einen Mythos, oder „Öko—Spinnerei“ hält. Nachhaltigkeit ist etwas Alltägliches geworden und das ist ein ganz zentraler Erfolg, denn das gibt der Debatte Stabilität. Sie könnte noch im viel größeren Rahmen geführt werden, aber sie ist dauerhaft geworden. Das war 2012 noch ganz anders. All das, was heute angestoßen wird, braucht aber auch Zeit, sich zu entwickeln, damit es gemeinschaftlich erarbeitet werden kann. Die Arbeit von BerlinRepair und den Reparaturräten zielt auf die Situation in 3 bis 5 Jahren ab. Denn den ruinösen Wettbewerb und die destruktiven Kapitalsysteme wirken immer noch. Was es braucht, um diese politischen Erfolge zu erreichen, ist eine Belebung unserer Demokratie, neuen Wind reinzubringen. Die Kraft, die wir brauchen, kommt aus dem Wechselspiel von Gesellschaft und Wirtschaft. Daher muss den politischen Erfolgen Raum gegeben werden, die Politik ist aber nicht der einzige Ort, an dem wir diese Probleme gelöst werden. 

Was wäre deine Vision oder dein Wunsch für die Zukunft der Reparaturkultur? 

Reparaturkultur sollte ein wesentlicher Teil von Lebensqualität im urbanen Raum werden. Es geht immer um „hegen, pflegen, weitergeben“. Reparatur ist eigentlich das neue Herstellen, das Wiederherstellen von Nutzbarkeit. In unserem Lebensraum schwindet die Nutzbarkeit. Dabei sollte Stadtqualität und Lebensqualität etwas sein, was, wie Sport und Kultur, zum täglichen Leben dazugehört, instand halten und einfach ein bisschen besser mit den Dingen umgehen. Dazu gehört auch die Wiederherstellung der Nutzbarkeit von Stoffen, z.B. Stadtmöbel aus Kunststoffmüll herstellen. Sodass man diese Dinge am Ende deren Nutzung auch wieder schreddern, zerlegen und wieder zu neuen Dingen machen kann. Ich finde, das ist eine der schönsten Visionen für Reparaturkultur, wenn man sich auf eine schicke, gemütliche Bank setzt, von der man weiß, dass sie schon das fünfte Mal eine Bank geworden ist, die früher einmal Kunststoffmüll war. Es sollte das neue Schön werden, wenn man sieht, dass etwas immer noch in Nutzung ist oder wieder in Nutzung kommt. Das ist die beste Form zu sehen, dass in einer Stadt hegen, pflegen, weitergeben wichtig ist. Das heißt, Reparaturkultur schafft schöne Orte. Wenn man das lebhaft gestalten kann und jeder auf seine Art und Weise mitwirkt, dann glaube ich, dass das etwas sehr Schönes als urbane Lebensform werden kann. 

Vielen Dank Stefan für das spannende Interview.

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